World Trade Center: Wie alles begann (2023)

vonJens Schröder

1973 war die Einweihung in New York: Jeweils 411 Meter hoch, je 110 Stockwerke, 130.000 Besucher Tag für Tag – die Zwillingstürme des World Trade Centers waren grandios und immer wieder umstritten. Dies ist ihre Entstehungsgeschichte

1963 erhält der ArchitektMinoru YamasakiDie Mission seines Lebens: An der Südspitze von Manhattan, im Hafenviertel der Stadt, soll er ein World Trade Center mit zwei Millionen Quadratmetern Bürofläche bauen.

Yamasakis Auftraggeber, die New Yorker Hafenbehörde, fordert Superlative: „Machen Sie keine kleinen Pläne, die bringen das Blut nicht in Wallung“, warnt Austin Tobin, Chef der Hafenbehörde, ein kleiner Mann mit silbergrauem Haar und dem Selbstbewusstsein eines Flottenadmirals.

Die Wahl fiel auf den japanisch-amerikanischen Minoru Yamasaki, weil er keine Reißbrett-Primadonna ist, sondern ein bescheidener Pragmatiker, der die Wünsche seiner Kunden vor die Befriedigung seiner eigenen künstlerischen Eitelkeiten stellt.

Modellnummer 40: Zwei hohe Zwillingstürme machen das Rennen

Angesichts der bevorstehenden Aufgabe stockt Yamasaki seine Belegschaft von 50 auf 80 Personen auf und baut zahlreiche Pappmodelle für das World Trade Center in New York: Mal ist es eine Ansammlung niedriger Gebäude, mal ein einzelner riesiger Turm...

Und dann kommt dasModellnummer 40: zwei schlanke, hohe Zwillingstürme mit einigen Nebengebäuden, die einen zwei Hektar großen unbebauten Platz umschließen. Ein Luxus in einer Gegend, in der damals ein einziger Quadratmeter Boden 20.000 Mark wert war.

Eine neue Ära: Die Twin Towers teilen New York

Die FührungArchitekturkritikerdes Landes sind begeistert: Das Design erweckt „unbeschränkte Bewunderung“, der Beginn einer „neuen Wolkenkratzer-Ära“ wird mit den Twin Towers in New York markiert, und die Eleganz der fünf Hektar großen Freifläche erinnert an den Markusplatz in Venedig.

Sie sind weniger beeindrucktEigentümerin Midtown Manhattan: Sie gründen das „Committee for a Reasonable World Trade Center“ und wollen „die aufgeblasenen Tobin Towers herunterputzen“, damit ihre subventionierte Riesengröße den Mietmarkt für Büroflächen nicht verdirbt.

Sprecher der Gruppe ist der Leiter derEmpire State Building. Nach 45 Jahren würden die Zwillingstürme seinem klassischen Wolkenkratzer nicht nur den Titel des höchsten Gebäudes der Erde entreißen, sondern auch das lukrative Monopol als Standort von Fernsehsendemasten.

Einige der Kritiker vermuten jedoch schon früh, dass sie gegen die mächtige Koalition der Twin-Towers-Planer keine Chance haben – und werben in Prospekten mit der unmittelbaren Nähe zum geplanten World Trade Center in Manhattan für eigene Neubauten.

New Yorks neues Wahrzeichen: Eine knifflige Konstruktion

Sein Bau beginnt mit dem Abriss von 164 Häusern im geschäftigen Geschäftsviertel „Radio Row“: Elektro-Discounter, Werkstätten, kleine Manufakturen. Und während die vertriebenen Händler noch nach neuen Standorten suchen, werben Mitarbeiter des Hafenbetriebs bereits um die ersten potenziellen Mieter im World Trade Center.

World Trade Center: Wie alles begann (1)

Kurz nach Baubeginn wird ihnen einiges geboten: Durch die Panoramafenster des VIP-Centers im 17. Stock eines Nachbargebäudes überblicken sie ein buntes Gewimmel von Bulldozern, Kränen und Baggern, von grünen Trucks zum Baggern und rote für Dynamit. Und wer genau hinschaut, sieht auch den Geniestreich, mit dem Yamasaki sein größtes Bauwerk beginnt: Der massive Manhattan-Schiefer, das Rückgrat der Insel, liegt in diesem Teil der Stadt sehr tief unter Erdhaufen.

Um das Handelszentrum sicher im „Bedrock“ zu verankern, sind Fundamente in mehr als 30 Metern Tiefe erforderlich. Allerdings liegt das Grundstück nur einen Meter über dem Wasserspiegel des Hudson – jede Baugrube würde durch den enormen Seitendruck einstürzen.

Yamasaki schickt einen Ingenieur auf Forschungsreise. Fündig wurde er in Mailand: Dort goss ein italienisches Bauunternehmen tragende Betonwände direkt durch eine in den Boden gefräste Lücke auf den felsigen Untergrund und sicherte sie zusätzlich mit Drahtseilen gegen den Wasserdruck. Das System wird importiert: Innerhalb von 14 Monaten entsteht aus bis zu 35 Meter hohen Betonwänden eine 440.000 Quadratmeter große „Badewanne“.

Es hält das Wasser ab und ist mit mehr als einer Million Kubikmetern Schlick, Ton und Treibsand gefüllt, die nun trocken und sicher ausgebaggert werden können. Relikte aus fünf Jahrhunderten New Yorker Stadtgeschichte kommen ans Licht: Kanonenkugeln, Schiffsteile, Überreste einer alten Töpferwerkstatt.

Das World Trade Center wird doppelt so teuer wie geplant

Während der Arbeiten rumpeln die Züge der Hudson Subway zwischen New York und New Jersey durch die freigelegten und aufgebockten Gusseisenröhren und transportieren täglich 80.000 meist ahnungslose Pendler über die größte Baustelle der Welt. Für viele Bewohner Manhattans ist es unerträglich laut geworden.

Der Pfarrer einer Nachbarkirche beschwert sich bei der Hafenbehörde, dass er nicht mehr bei offenem Fenster predigen kann. Er bekommt eine Klimaanlage für sein Gotteshaus. Und noch eins für sein Refektorium. Schon jetzt ist absehbar, dass sich die geschätzten Baukosten für das World Trade Center von 280 Millionen Dollar fast verdoppeln werden. Noch ragt das künftig höchste Gebäude der Welt keinen Meter über den Boden hinaus.

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Doch die letzten Vorbereitungen für den Hochbau laufen, und das nicht nur in New York: In einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Oregon bauen Ingenieure im Auftrag der Hafenbehörde ein Autohaus zum Optikergeschäft um. Sie locken Passanten mit einem kostenlosen Sehtest ins Gebäude und führen sie unbemerkt in einen im Hinterhof geparkten Wohnwagen.

Das Fahrzeug ist auf Federn gelagert und fängt an zu schaukeln, sobald die Testpersonen den vermeintlichen Laden betreten. Ergebnis des Versuchs: Ca28 Zentimeter Schwankung werden von den meisten Menschen toleriert- eine Information, die in die Berechnung des Stahlskeletts des World Trade Centers einfließt.

Auch Minuro Yamasaki hat seiner Konstruktion eine Innovation hinzugefügt, die in der Welt der Architektur für Aufsehen sorgt: So werden die Repräsentanzen im World Trade Center nicht wie bei anderen Wolkenkratzern fast vollständig von tragenden Säulen unterbrochen Das Gewicht der Twin Towers ruht auf den Außenwänden, die auch den seitlichen Winddruck von bis zu sechs Millionen Kilogramm ableiten.

472 vertikale Stahlhohlträgerin etwa einem Meter Abstand säumen die Außenwände der Türme und bilden zusammen mit horizontalen „Stäben“ auf jedem Stockwerk einen massiven Gitterkäfig, ein sogenanntes „verwindungssteifes Vierkantrohr“.

"Schlitze" zum Hinausschauen

Doch das Stahlkorsett hat einen Nachteil: Die 43.600 Fenster zu New Yorks schönster Aussicht dürfen nur 30 Zentimeter breit sein. Das findet der Architekt nicht schlimm: „Die Büros sind keine Aussichtsplattformen. Gegen Höhenangst hilft es auch, wenn die Fenster schmaler als eine Schulterbreite sind.“

Anfang 1970 erreichten die Bauarbeiten ihren Höhepunkt: Bis zu 7.000 Arbeiter sind gleichzeitig damit beschäftigt, vorgefertigte Stahlelemente per Boot vom Lager in New Jersey zur Baustelle zu bringen, mit Spezialkränen hochzuziehen und Bodenplatten einzubauen. In den unteren Geschossen wird bereits die Alu-Verkleidung montiert. Stoßdämpfer zwischen ihm und den Stahlträgern sollen die stärksten Windböen absorbieren. Wo die silberne Außenhaut schon angebracht ist und das Fensterglas schon sitzt, beginnt der Innenausbau.

World Trade Center: Wie alles begann (3)

Die Medien wetterten gegen das World Trade Center

Nun zeichnet sich für die Manager der Hafenbehörde ein weiteres Problem ab: Ölkrise und Rezession haben die Nachfrage nach Büroflächen drastisch einbrechen lassen. Um den Leerstand zu mindern, verlegt Gouverneur Nelson Rockefeller 25.000 Beamte in die neuen Gebäude – und rettet so die Finanziers, zu denen auch sein Bruder David gehört.

Aber auch in den Medien wendet sich das Blattplötzlich gegen die Twin Towers: "Technik pur, die Lobby nichts als Schmalz", schimpft Ada-Louise Huxtable in der "New York Times"; ein architektonischer "Disneyland-Märchen-Blockbuster in General Motors Gothic". Ein Kollege von der „Los Angeles Times“ wird noch deutlicher: „Faszinierende Hässlichkeit“ schreibt er jenen Türmen, deren Vorbild ihn vor einigen Jahren inspiriert hatte, gerne zu.

Glücklicherweise ist die breite Öffentlichkeit da ganz anderer Meinung: New Yorker und Touristen sind den riesigen Türmen ans Herz gewachsen. Sie werden zum häufigsten Motiv auf den Postkartenständern. Auch Hollywood entdeckt das World Trade Center: Eine Neuverfilmung des Filmklassikers King Kong lässt den Riesenaffen 1976 von den Twin Towers statt wie üblich vom Empire State Building in den Tod stürzen.

Auf der Aussichtsplattform im Nordturm des World Trade Centers können Paare geheiratet und Models fotografiert werden. Die Armee vereidigt hier manchmal sogar ihre Rekruten. Und der Weinkeller des Windows of the World-Restaurants im 107. Stock des Südturms hat selbst den schärfsten Kritikern der Hafenbehörde einige Anerkennung abgerungen – nachdem sie die mit Seide bedeckten Decken und Waschbecken aus rosa Marmor zunächst als Verschwendung gebrandmarkt hatten.

Ein Abenteurer, der sich von den stählernen Kolossen inspirieren ließ, zeigt den Rang, den die Türme allmählich im Bewusstsein der Menschen einnehmen

Als ein Anwalt der Stadt den neuen Volkshelden auf 250.000 Dollar Schadensersatz für den ausgelösten Polizeieinsatz verklagen will, verhindert der Bürgermeister höchstpersönlich ein PR-Debakel: Wer ein weltberühmtes Wahrzeichen wie die Türme des World Trade Centers von Yamasaki erklimmt, wird abhauen natürlich nicht bestraft werden. Es wurde ein Bußgeld von 1,10 Dollar vereinbart. Ein Cent pro Etage.

GEO EPOCHE Nr. 07 - 01.12. - Der Tag, der die Welt veränderte

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Author: Nicola Considine CPA

Last Updated: 02/01/2023

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