Krebstherapie: Protonen bekämpfen Tumore und schützen Gewebe - WELT (2023)

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EEigentlich sollten wir uns auf diesen Moment gut vorbereiten. Jeder, der krank wird, kennt mindestens einen Bekannten, Freund oder ein Familienmitglied. Und doch wollen wir dem Arzt nicht glauben, wenn er sagt: „Das haben SieKrebs."

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Genau diese Szene ist unser Alptraum, obwohl wir wissen, dass viele Krebsarten mittlerweile heilbar sind. Doch die Heilung hat ihren Preis: Der Patient muss eine Operation, Chemo- oder Strahlentherapie über sich ergehen lassen. Manchmal bekommt er sogar alle drei.

Die Nebenwirkungen der Krebsbehandlung sind gefürchtet. Übelkeit, Erbrechen,Haarausfallund Hautirritationen – daran denkt fast jeder, wenn er von Chemotherapie oder Bestrahlung hört. Beides hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten deutlich verbessert.

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Auch Professor Jürgen Dunst, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie, kann über bedeutende Fortschritte in der Strahlentherapie berichten: „Heute können wir Tumore nicht nur präziser bestrahlen, sondern dank verbesserter Bildgebung auch genauer lokalisieren. Sie können modifiziert werden.“ die Strahlungswirkung bei Medikamenten." Präzision ist entscheidend für den Erfolg in der Strahlentherapie.

Protonenstrahlen geben Energie ab

Während derTumorWill man selbst eine möglichst hohe Strahlendosis erhalten, muss das umliegende Gewebe geschont werden. Denn ionisierende Strahlung wirkt auf gesunde Zellen genauso wie auf Tumorzellen – sie richtet allerlei Schäden am Erbgut an: Wasserstoffbrücken brechen, Basen gehen verloren, DNA-Stränge werden unsinnig verknüpft oder gebrochen.

Viele dieser Fehler können jedoch recht schnell behoben werden. Jede Zelle hat dazu ihr eigenes Reparatursystem. Nicht zuletzt kommt ionisierende Strahlung natürlicherweise in der Umwelt vor; der Körper muss dagegen gewappnet sein. Aber nach einer gewissen Anzahl von Fehlern ist Schluss. Dann versagen alle Reparaturmechanismen und die Zelle wird zerstört – egal ob sie zum Tumor oder zu gesundem Gewebe gehört.

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Genau aus diesem Grund ist eine präzise Bestrahlung so wichtig. Bei vielen Tumorarten ist dies jedoch nicht so einfach. Je tiefer der Tumor im Gewebe sitzt, desto schwieriger ist es für die Strahlung, ihn zu durchdringen.

Herkömmliche Strahlung kann wiederum Tumore verursachen

Und: Umso mehr gesundes Gewebe muss die Strahlung vorher durchdringen. Auch konventionelle Strahlung gibt dort recht viel Energie ab – mit den entsprechenden Folgen: „Hohe Dosen können zu Spätfolgen wie Narbenbildung führen. Nach Jahrzehnten können sogar bösartige Zweittumoren wachsen“, warnt Dunst.

Und das ist gar nicht so unwahrscheinlich. Etwa zwei bis drei Prozent aller konventionell Bestrahlten würden innerhalb von 20 Jahren einen Tumor entwickeln, erklärt Professor Jürgen Debus, Ärztlicher Direktor der Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie am Universitätsklinikum Heidelberg. „Doch rund 60 Prozent der Krebspatienten werden durch Bestrahlung geheilt – dafür wird das Risiko in Kauf genommen“, sagt er.

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Tatsächlich bekommt nur ein Bruchteil der Bestrahlten einen zweiten Tumor. Das liegt vor allem daran, dass Krebs in erster Linie eine Erkrankung älterer Menschen ist.

Die meisten Patienten sind bereits so alt, dass sie die Spätfolgen ohnehin nicht mehr spüren. „Der 80-Jährige hat ein Risiko von über 50 Prozent, innerhalb der nächsten zehn Jahre an etwas anderem als den Folgen der Strahlentherapie zu sterben“, erklärt Debus.

Ganz anders sieht es bei jungen Erwachsenen und Kindern aus. Je länger ein Patient nach der Bestrahlung lebt, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich die bestrahlten Zellen irgendwann zu Tumoren entwickeln.

Neue Methode verspricht bessere Heilungschancen

Dieses Risiko mussten junge Patienten lange Zeit in Kauf nehmen. Doch seit einigen Jahren verspricht eine neue Methode nicht nur bessere Heilungschancen, sondern auch weniger Nebenwirkungen.

Sogenannte Protonenstrahlen könnten die künftige Krebstherapie revolutionieren. „Man geht davon aus, dass bis zu 20 Prozent aller konventionell bestrahlten Patienten von einer Protonentherapie profitieren können“, verspricht Beate Timmermann, stellvertretende Ärztliche Direktorin am Westdeutschen Protonentherapiezentrum in Essen.

Prinzipiell ist die Protonentherapie seit einiger Zeit bekannt. Es wird seit Jahrzehnten weltweit eingesetzt – bisher jedoch nur in sehr begrenztem Umfang. Das liegt vor allem daran, dass die Therapie um einiges aufwendiger und teurer ist als die konventionelle Strahlentherapie. Protonenstrahlzentren sind Wunderwerke der modernen Technik.

Dort werden die Protonen aus Wasserstoffatomen herausgelöst und anschließend in einem hochfrequenten elektrischen Wechselfeld, dem sogenannten Synchrotron, auf etwa dreiviertel Lichtgeschwindigkeit beschleunigt.

Strahlenbündel können genau auf den Tumor gerichtet werden

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Elektromagnete müssen diese winzigen Energiebündel dann in die richtige Bahn lenken. So landen sie in einem mehrere hundert Tonnen schweren Gebilde, der Gantry, die schließlich den Strahlengang millimetergenau auf den Tumor schießt.

So eine Präzisionsmaschine kann schnell 100 Millionen Euro kosten. Letztlich sind es aber nicht die Baukosten, die die Therapierechnung in die Höhe treiben, sondern die Personalkosten. Ein Mitarbeiter allein kann diesen Technologieriesen kaum steuern.

Hinzu kommen zahlreiche Weiterbildungen, die für einen sicheren Betrieb notwendig sind. Die Bestrahlung mit Protonen kostet daher das Doppelte bis Dreifache der konventionellen Strahlentherapie, nämlich rund 20.000 Euro.

Wirklich sparen kann man allerdings nur bei den Geräten. Ein tragischer Unfall in München zeigt, wie wichtig die sorgfältige Auswahl von Personal mit entsprechender Weiterbildung ist. Kürzlich wurde der Fall eines 65-jährigen Patienten bekannt, der nun mit den Folgen eines schweren menschlichen Versagens zu kämpfen hat.

Patient erhielt fälschlicherweise eine viel zu hohe Strahlendosis

Wegen eines bösartigen Prostatatumors sollte er im Sommer 2001 mit Protonen bestrahlt werden; 21-mal eine Dosis von drei Gray. Die Therapie fing gut an, aber nach 15 Sitzungen passierte etwas, was nie passieren sollte: Statt einer Einzeldosis erhielt die Patientin eine komplette Bestrahlung von 63 Gray in einer einzigen Sitzung.

Bei den vorherigen Bestrahlungen hatte seine Prostata eine Gesamtdosis von 108 Gray erhalten, viel zu viel für jede Art von Gewebe. Alles, was sich im Strahlungsfeld befand, starb oder nahm zumindest ernsthaften Schaden.

Seitdem leide der Patient nach eigenen Angaben unter starken Schmerzen, Stuhl- und Blaseninkontinenz und der beschriebenen Tumorbildung. Kürzlich entdeckten die Ärzte einen Tumor in seinem Rektum.

Ist die Protonentherapie ein größeres Risiko? Nein, sagen führende Strahlenexperten. Auch Dunst geht von menschlichem Versagen aus: „Soweit ich weiß, war es ein vermeidbarer Fehler bei der Programmierung der Strahlung“, sagt er. „Vorfälle wie in München dürften aufgrund der hohen technischen Anforderungen eigentlich nicht passieren.“

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Aber anscheinend waren die damaligen Anforderungen nicht hoch genug. „Ein Gerät sollte nicht einfach erlauben, einen Patienten mit einer einzigen Dosis 63 Gray zu bestrahlen“, erklärt Debus.

Software soll Fehlprogrammierung ausschließen

Tatsächlich wurden nach diesem Unfall nicht nur die Verantwortlichen entlassen, sondern auch die Sicherheitsvorschriften noch einmal verschärft. Inzwischen würde die Software des Systems nicht einmal eine solche Fehlprogrammierung zulassen.

Trotz des Vorfalls und der Kosten übernehmen immer mehr gesetzliche Krankenkassen die teure Therapie – weil sie wirkt. „Die Experten sind sich einig: Die Protonentherapie ist für mehrere Krankheitssituationen die beste Behandlungsmethode“, sagt Dunst.

Protonenstrahlen sind besonders vorteilhaft, wenn umliegendes Gewebe dringend geschützt werden muss. Bei richtiger Anwendung ist sie deutlich genauer als herkömmliche Bestrahlungsmethoden.

„Protonen bilden einen sogenannten ‚Bragg-Peak‘“, erklärt Debus. „Das bedeutet, dass die Strahlung an einem bestimmten Punkt tief im Gewebe ihre gesamte Energie auf einmal abgibt.“

Die Umgebung muss geschont werden, besonders in empfindlichen Geweben. Daher gibt es bereits zwei bestätigte Indikationen, bei denen die Protonentherapie nicht nur standardmäßig empfohlen wird, sondern in jedem Fall auch von den Krankenkassen übernommen wird: Schädelbasistumoren und Augentumoren.

Tumore können mit deutlich höherer Intensität bestrahlt werden

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Früher musste hier die Gesamtstrahlendosis stark reduziert werden, sonst drohte Erblindung und Schädigung der zentralen Nerven. Doch dank der Protonentherapie können diese Geschwüre nun mit deutlich mehr Gray bestrahlt werden.

Die Tumorzellen haben dann oft keine Chance mehr – und sterben ab. „Statt rund 30 Prozent mit konventioneller Strahlentherapie werden heute rund 65 Prozent der Patienten geheilt“, sagt Debus.

Mittlerweile übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen aber auch bei vielen anderen Krebsarten die Kosten der Protonenbestrahlung. Ursula Marschall, Chefärztin der Barmer GEK, berichtet, dass sich das Indikationsspektrum ständig weiterentwickelt: „Wenn Studien als Grundlage fehlen, kann der Einsatz der Protonentherapie im Rahmen einer Einzelfallentscheidung erwogen werden ."

Allerdings haben die Krankenkassen immer eine Bedingung: „Wir legen großen Wert auf Wissenschaft. Die Protonentherapie muss strukturiert sein, unter klar definierten Qualitätsanforderungen und mit kompetenten Partnern“, sagt Marschall.

Konkret bedeutet dies, dass die Barmer bislang nur Therapien in Essen und Heidelberg bezahlt. Bei Augentumoren ist an der Charité in Berlin auch eine Protonenbehandlung möglich. An diesen Universitätskliniken wird die Protonenbestrahlung in ein interdisziplinäres Therapiekonzept integriert und in Form von Studien evaluiert.

Ein ähnliches Konzept war einst an den Universitätskliniken Kiel und Marburg geplant. Doch vom Enthusiasmus der Vergangenheit ist wenig geblieben. Schuld daran ist nicht der fehlende Therapieerfolg, sondern eine schlichte Fehleinschätzung.

Siemens habe komplett geplant, sagt Dunst. „Sie haben vertraglich zugesagt, 2.500 Patienten pro Jahr behandeln zu können, aber tatsächlich haben die Systeme bisher nur die üblichen 1.000 bis 1.500 Patienten bewältigt.“

Funktionsfähige Anlagen sollen wieder abgerissen werden

Jetzt sollen die teuren Anlagen einfach wieder abgerissen werden. „Das System ist voll funktionsfähig, wird aber nicht genutzt. Das ist für mich unvorstellbar“, ärgert sich Dunst.

Ob es für die beiden Systeme aus Kiel und Marburg noch Hoffnung gibt, bleibt fraglich. Nicht zuletzt werden derzeit nur wenige spezifische Tumorerkrankungen mit Protonen beschossen. Die Experten rechnen mit etwa 200 bis 300 Patienten aus Deutschland pro Jahr, darunter auch Kinder. Der Rest der Krebskranken profitiert nicht von der Protonentherapie.

Oder besser gesagt: Dieser Vorteil ist für Ihre Erkrankung noch nicht belegt. Dunst ist sich sicher: „In ein paar Jahren wird ein gewisser Anteil der Krebspatienten mit Protonen behandelt werden, weil es eindeutig die verträglichere Therapie ist.“

Wenn die laufenden Studien die Überlegenheit der Protonentherapie gegenüber der konventionellen Bestrahlung belegen, könnten die Patientenzahlen schlagartig steigen. Denn Krebs ist nach wie vor weit verbreitet und eine der Haupttodesursachen beim Menschen. Genau deshalb ist die Krebsforschung so wichtig.

Zwar wird die Protonentherapie nicht das Allheilmittel für alle Krebsarten werden. Aber vielleicht könnte sie ihr irgendwann die Angst nehmen, an Krebs erkrankt zu sein.

So funktioniert die Protonentherapie:

Bevor eine Strahlentherapie beginnen kann, muss diese zunächst sorgfältig geplant werden. Besonders wichtig ist die genaue Lokalisation des Tumors. Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren wie Computer- und Magnetresonanztomographie werden die genauen Koordinaten des Tumors, seine Ausdehnung und die Beschaffenheit des umgebenden Gewebes bestimmt.

Auch die Toleranzdosen für gefährdete Nachbargewebe müssen vorher bestimmt werden. Anhand dieser Auswertungen wird dann für jeden Punkt im Tumor die richtige Strahlendosis bestimmt und die optimale Strahlenrichtung berechnet.

Erst jetzt kann die eigentliche Bestrahlung beginnen. Wichtig ist dabei, dass die Protonenstrahlen millimetergenau auf die vorher berechneten Punkte treffen. Andernfalls ist nicht nur die Therapie wirkungslos, sondern es besteht auch die Gefahr schwerer Schädigungen des umliegenden Gewebes.

Da es jedoch kaum möglich ist, während der gesamten Bestrahlung völlig ruhig zu liegen, kommt der Bestrahlungspatient leider um eine Fixierung nicht herum. Glücklicherweise müssen sie normalerweise nicht sehr lange in dieser bedrückenden Position bleiben.

Die meisten Bestrahlungen dauern nur wenige Minuten, müssen aber mehrmals hintereinander wiederholt werden. Im Durchschnitt wird die Gesamtdosis auf 20 Sitzungen verteilt. Ärzte prüfen dann, ob der Tumor durch die Therapie geschrumpft oder sogar ganz verschwunden ist.

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Author: Lilliana Bartoletti

Last Updated: 02/14/2023

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